Die Klimakrise wurde bereits gelöst: Episode 1

Die Klimakrise wurde bereits gelöst: Episode 1

Dass die Klimakrise eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit ist, wenn nicht sogar die grösste, ist nichts Neues. Sie ist deutlich komplexer als andere Krisen und eine Klimakatastrophe zu vermeiden, bedeutet höchstwahrscheinlich, grosse Teile unserer Gesellschaft und unseres alltäglichen Lebens umzukrempeln.

Wie dieses Umkrempeln allerdings aussehen soll, führt zu sehr vielen Debatten. Und in diesen Debatten um entsprechende Massnahmen fällt ein ganz bestimmtes Wort erstaunlich oft: «unrealistisch».

Eine Massnahme oder eine Forderung als unrealistisch zu bezeichnen, ist ziemlich nichtssagend. Allerdings ist es schwierig, diesem Vorwurf etwas zu entgegnen, gerade weil er meist ohne weitere Begründung gemacht wird. Es ist nicht einfach zu beweisen, dass etwas realistisch ist, bevor es in die Tat umgesetzt wurde.

Doch was wäre, wenn die meisten dieser «unrealistischen» Massnahmen bereits real existieren würden, einfach woanders? Wenn manche Herausforderungen, die als unlösbar abgestempelt werden, an anderen Orten bereits bewältigt wurden?

Ich möchte dieser Frage etwas nachgehen. In dieser Beitragsreihe werden Lösungen zur Klimakrise aus aller Welt zusammengetragen, die nicht nur auf dem Papier und in der heissen Luft der politischen Debatte existieren, sondern bereits sehr real umgesetzt wurden. Denn wenn wir nicht wollen, dass es plötzlich zu spät ist, sollten wir schnellstmöglich herausfinden, welche Lösungen tatsächlich funktionieren und welche nicht. Und anstatt uns dabei auf Annahmen und Meinungen zu verlassen, können wir uns die Dinge auch einfach direkt anschauen. Tatsachen irren sich nicht.


In diesem ersten Artikel widmen wir uns der Forderung nach der autofreien Stadt.

Autos als Klimaschutzmassnahme aus gewissen Zonen oder gar ganzen Städten zu verbannen, wurde bereits von verschiedensten Akteuren vorgeschlagen. In der Schweiz zum Beispiel 2017 in einer städtischen Volksinitiative der Zürcher Juso, die später vom Bundesgericht für ungültig erklärt wurde und nicht zur Abstimmung kam, sowie 2021 als Teil des «Climate Action Plan» des Klimastreiks. Auch das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) schreibt von der Notwendigkeit von «compact and walkable» ‑ also kompakten und zu Fuss begehbaren – Städten.

Selbstverständlich fallen bei diesen Vorschlägen unsere gesuchten Schlüsselwörter: «Diese Forderung ist nicht utopisch, diese Idee ist weltfremd» (Reto Cavegn vom TCS Zürich zur Lancierung der Initiative). Wenn wir aber wirklich wissen wollen, ob ein autofreies Zürich «weltfremd» oder eben doch «realistisch» ist und wie ein solches aussehen könnte, müssen wir uns andere Städte anschauen, die bereits umgesetzt haben, was wir nur diskutieren.

(Bildquelle: www.barcelona.cat)

Reisen wir dafür als erstes nach Barcelona. Dort finden wir die sogenannten Superblocks vor («Superilles» in Katalanisch). Das sind 160'000m2grosse Ansammlungen von mehreren Häuserblocks, die eine Form von autofreien Inseln mitten in der Stadt bilden. Nur Anwohner*innen, essenzielle Dienste und Lieferdienste dürfen die Strassen innerhalb der Superblocks noch nutzen, ähnlich wie das auch für Zürich gefordert wurde. Dabei gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 10km/h und alle Strassen sind Einbahnen. Der erste solche Block entstand 2016, im Ganzen sollen es 503 werden, die den Grossteil der Innenstadt bedecken. Insgesamt sollen in Barcelona 70% der Strassenflächen umgenutzt werden. Dadurch entstehen unter anderem dutzende neue öffentliche Plätze auf ehemaligen Kreuzungen. Um die Mobilität nicht einzuschränken, werden als Alternative mehr Buslinien und mehr Velowege eingesetzt.


Auch in Barcelona gab es zu Beginn grossen lokalen Widerstand gegen diese Pläne. Ladenbesitzer*innen befürchteten einen Einbruch ihres Umsatzes und Schwierigkeiten bei der Anlieferung. Anwohner*innen wiederum hatten Angst, die Superblocks würden den dortigen Bodenpreis in die Höhe schiessen lassen, die bisherigen Mieter*innen aus ihren Wohnungen vertreiben und diese neuen Grünzonen in Wohlstandsenklaven verwandeln.

Doch was ist der tatsächliche Stand heute, 8 Jahre später?

🚴🏽
Es wurden mehr Distanzen zu Fuss (+10%) und mit dem Velo (+30%) zurückgelegt.
💨
Die Stickstoffkonzentration, die zuvor mit 47mg/m3 über dem Grenzwert lag, ist auf 36mg/m3 gesunken.
😴
Anwohner*innen melden einen klaren Anstieg von Schlafqualität und einen Anstieg an sozialen Interaktionen.
📈
Die Befürchtung der Ladenbesitzer*innen hat sich als unberechtigt herausgestellt: Anstelle von Konkursen haben diese Regionen in der Zwischenzeit 30% mehr Geschäfte als zuvor.

Einige Satellitenaufnahmen von Barcelona

Bild : Barcelona, Placa de Comte Borell


Um einer allfälligen Bodenpreiserhöhung entgegenzuwirken, wurden ausserdem die ersten Pilotprojekte mit sozialem Wohnraum durchgeführt. Zukünftig braucht es wohl Gesetze, die das gleiche auch bei privatem Wohnraum ermöglichen.

Werden alle 503 Superblocks umgesetzt, rechnet die Stadt ausserdem damit, jährlich 667 vorzeitige Todesfälle vermeiden zu können, ein Grossteil davon Opfer von Luftverschmutzung und Hitzetode.