«Klirrrr» die Scheibe zersplittert

Über mich

Willkommen. In dieser Kolumne werde ich euch mitnehmen durch meinen Aktivismus in verschiedenen Klimagerechtigkeitsbewegungen, durch meinen Alltag als junger Mensch, und allem, was sonst noch zum Leben dazu gehört. Wer ich bin? Schwierige Frage. Also fangen wir mal bei den Basics an. Ich heisse Cyrill Hermann. Ich bin diesen Herbst 19 Jahre alt geworden. Ich gehe in Zürich ins Gymnasium. Ich engagiere mich seit mehr als drei Jahren im Klimastreik. Ich wohne mit meiner Mutter und meinen Geschwistern in einer Wohnung in Zürich. Ich betreibe und unterrichte in meiner Freizeit Eiskunstlauf. Ich bin gerne mit meinen Homies in Zürich unterwegs, egal ob See, Theater oder chillige Bars. Wisst ihr jetzt, wer ich bin? Probably nicht. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr mich in Zukunft auf meinem Weg als junger Mensch, durch alles, was mich ausmacht, begleiten und mich etwas besser kennenlernen

Montag, 13.03.2023 ­– Verhandlungen zum neuen Bericht des Weltklimarates

Geschwollen drücken die Geräusche durch. Es ist laut, aber trotzdem leise, alles ist dumpf. Da steht er. Da läuft er lächelnd hoch. Da profiliert er sich mit der Schweizer Delegation. Da bin ich. Hinter einer dicken, unendlich grossen Glasscheibe. Isoliert und verloren.

Credit: Zoe Nogier

In Interlaken findet gerade das 58ste Treffen des Weltklimarats (IPCC) statt, und mittendrin bin ich. Wir sind zu viert am Vortag in das kleine Alpenstädtchen angereist und wurden eingeladen, die Stimme der Jugend bei den diesjährigen Verhandlungen zu vertreten. Denn jedes Mal, wenn der IPCC einen neuen Bericht publiziert, erscheint dazu eine Zusammenfassung für Regierungen. Diese wird von Wissenschaftler*innen verfasst und muss dann mit einem Konsens verabschiedet werden. Deshalb reisen wie bei den andern UNO-Konferenzen aus allen Ländern der Welt Delegierte an, welche dann versuchen, Einfluss auf die Ausformulierung zu nehmen. Aus «we need drastic action» wird dann beispielsweise «we propose massures», so vertreten die jeweiligen Länder unteranderem so lange ihre wirtschaftlichen Interessen, bis man sich geeinigt hat. Problematisch aus vielerlei hinsichten, aber das ist ein anderes Thema. Auf das wollte ich gar nicht hinaus.

Eigentlich geht es aber verglichen zu den tagelangen Verhandlungen um einen relativ kurzen Moment noch vor Beginn des Treffens. Denn an der Eröffnungszeremonie hielt ein bekanntes Schweizer Gesicht eine Rede, als Minister des Umweltbundesamtes getarnt, sprach er über sein Heimatdorf und wie es von der Klimakrise betroffen sei, wie schade dies sei, weil die Sonnenuntergänge über den Bergen so bezaubernd seien und die malerischen Landschaften der Alpen so schützenswert. Der Haken an diesem Mann namens Albert Rösti, welcher so scheinheilig an einem Treffen der höchsten wissenschaftlichen Instanz sich selbst inszenierte: Er hat noch diesen Sommer die Klimakrise mit den Worten «Man solle sich über das schöne Wetter freuen» geleugnet. Er war jahrelang Lobbyist und Präsident beim grössten Verband für Erdöl und Autoschweiz und hat mit seiner Partei der SVP seit jeher jede einzelne Klimamassnahme blockiert und sabotiert.

Hinter der Scheibe wird es immer heisser, auf der Stirn bilden sich kleine Schweissperlen und ich beginne förmlich zu kochen. Mein Gesicht wird rot und die Scheibe läuft an. Wir sitzen eher im hinteren Teil des riesigen Kongresssaals und in mir beginnt es zu rattern: Wie kann es sein, dass solch ein Menschen und Wissenschaft verachtender Dude, welcher jegliche Macht besässe unverzüglich Massnahmen vorzuschlagen, hier aufkreuzt? In unserer Gruppe tauschen wir uns schnell aus. «Sollen wir ihn konfrontieren? Wenn ja, was sagen wir?». Eigentlich möchte ich ihn schlagen oder treten. Wir einigen uns, dass wir ihn im passenden Moment überraschen und mit unangenehmen Fragen überhäufen. Dass wir ihn und seine Planlosigkeit blossstellen. Dass wir uns rächen und unsere Wut kundtun. Ich beruhige mich wieder und konzentriere mich darauf, die richtigen Fragen zu überlegen: «Wenn Sie sich jetzt an wissenschaftlichen Treffen blicken lassen, können wir jetzt erwarten, dass Sie nach dem wissenschaftlichen Konsens handeln und eine Politik von Netto-Null 2030 anstreben? Werden Sie deshalb die neugebauten Gaskraftwerke in Birr zurückbauen und das geplante LNG-Terminal stoppen?»

Doch so weit sollte es gar nicht kommen. Ich stehe zwar im richtigen Moment auf, sodass wir uns auf unserer Höhe des Saales kreuzen würden. Ich habe ihn im Blick und passe mein Tempo an seines an. Helma steht mit der Kamera bereit und filmt schon unauffällig. Noch 5 noch 4 noch 3 Meter, doch im letzten Augenblick stellt sich ein Securityguard dazwischen. Ich versuche an ihm vorbeizukommen, argumentiere, dass alle andern ja auch durchkönnen und ich dringend auf Toilette muss. Vor mir zieht sich wieder eine dicke Glasscheibe hoch. Ich klopfe wütend dagegen. Doch das scheint ihn alles nicht zu interessieren. Ich hämmere und werde immer lauter. Schliesslich gibt er nach. Rösti schon lange verschwunden.

Was bleibt sind ich und meine Wut, mein Hass auf alles. Auf einen SVP-Politiker, der unsere Zukunft und das Leben tausender Menschen im globalen Süden in den Händen hält, ein System, welches unfair und unüberwindbar aussieht. Ein Stein. Er fliegt. Die Scheibe zerklirrt und fällt vor mir in sich zusammen. Ich atme auf, frischer, kühler Wind weht mir entgegen. Ich komme runter.

Wut. Alle, ob politisch engagiert oder nicht, kennen sie. Was passiert, wenn ich sage «Ich habe einen Stein geschmissen»? Schock, Distanzierung, hat er nicht gemacht?!? Alle Boomers fragen sich jetzt, hat er wirklich einen Stein geschmissen? Nein, es ist gut, habe ich keinen Stein geschmissen, es wäre aber auch nicht schlecht, oder? Seinen persönlichen Zugang zu Wut muss man finden. Ich habe ihn gefunden. Bei mir resultiert Wut in Motivation und Zielstrebigkeit. Sie erinnert mich an meine Ziele und Ideale. Wut gibt mir immer wieder den Willen im Aktivismus weiterzumachen. Ich kann sie mit Mitaktivist*innen teilen, sie vereint uns, sie gibt uns Kraft. Bei meiner Mutter stelle ich fest, sie hat ihre Wut verloren. Sie arbeitet seit über 30 Jahren als Sozialpädagogin in Heimen, als Familienbegleiterin oder leitete Integrationsprojekte beim Roten Kreuz. Alles Berufsfelder, die sehr intensiv sind und bei denen viel falsch läuft. Zu oft hatte sie sich schon über Themen aufgeregt, dagegen protestiert und wurde enttäuscht. Sie erwartet nichts mehr. Ihre Wut wich der Resignation. Wut zu haben erfordert aber auch Energie. Energie, die meine Mutter neben unserem Familien Setting und ihrem Arbeitspensum nicht mehr hat. Keinen oder nicht den richtigen Zugang zu Wut zu haben lässt einen resignieren, man gibt auf.

Aber wer darf Wut öffentlich zeigen? Wie darf man sie ausleben? Und macht es überhaupt Sinn sie zu zeigen? Alles riesige Fragen, die ich nicht allein beantworten kann. Deshalb werde ich in der vertonten Version im Anschluss mit der Schauspielerin Mira Guggenbühl darüber sprechen. In ihrer letzten Produktion «Ich chan es Zundhölzli azünde» von Fatima Moumouni und Laurin Buser geht es genau um diese Fragen. Hört rein!

Vertonung & Gespräch mit Mira Guggenbühl
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