Das progressive Schweden – und was die Schweiz davon lernen kann - Teil 4
Hej Schweiz! Wie nachhaltig (hållbar) bist du?
In Sachen Umweltschutz (miljöskydd) ist Schweden einmal mehr Vorreiter. Es belegt im Climate Change Performance Index (CCPI) den fünften Platz und ist damit nach Dänemark das zweitbeste Land. Die ersten drei Plätze werden nicht besetzt, da nach Ansicht der Autor*innen des CCPI kein Land die Einstufung «very high» verdient. Die Besetzung der Podiumsplätze würde lediglich implizieren, dass diese Länder auf dem richtigen Weg sind, die Pariser Klimaziele (paris klimatmål) zu erreichen, was bei weitem nicht der Fall ist. Aber wo stehst du, liebe Schweiz? Naaaaja. Gemäss CCPI bist du auf Platz 22 und bekommst nur ein «medium» für deine Leistung - sieben Plätze schlechter als 2021 und drei Plätze unter dem EU-Durchschnitt! Fast schon peinlich.
Der wohl grösste Rückstand besteht in der Klimapolitik (klimatpolitik). Schweden hat 1967 als erstes Land der Welt ein Umweltschutzgesetz verabschiedet und 2017 mit dem Klimaschutzgesetz «Klima Lag» das Ziel verankert, bis 2045 klimaneutral (klimatneutral) zu werden - fünf Jahre vor den anderen europäischen Staaten. Ausserdem hat es die höchste CO2-Steuer der Welt und führte 2021 eine spezielle Flugsteuer (flygskatt) ein. Etwas Ähnliches haben wir mit dem CO2-Gesetz 2021 auch versucht... und sind an der Urne gescheitert. Um das Versprechen des Pariser Klimaabkommens - Klimaneutralität bis 2050 - doch noch irgendwie einhalten zu können, wird nun im Juni über ein Klimagesetz abgestimmt, das wichtige Umsetzungsmassnahmen enthält... mal sehen, ob wir da einen Schritt weiterkommen.
Der*die durchschnittliche Schweizer*in hat 2020 zwar weniger Energie als die Schwed*innen verbraucht (könnte auch daran liegen, dass die nordischen Winter um einiges kälter sind und die Sonne kaum aufgeht), jedoch besteht der schwedische Verbrauch zu rund 55% aus erneuerbaren Energien (förnybar energi), während du ein Jahr später immer noch bei 28% festhängst. Worauf du aber (fast) stolz sein kannst ist deine Stromversorgung: 80% davon stammen aus erneuerbaren Energien, in Schweden sind es 63%. Allerdings ist zu beachten, dass fast 70% des Schweizer Stroms aus Wasserkraft stammt und damit als erneuerbar gilt, auch wenn die Nachhaltigkeit umstritten ist.
💡 Energie
Energie wird für jede Form von Arbeit wie Licht, Wärme oder Bewegung benötigt. Unter Energieverbrauch versteht man also unter anderem die Fortbewegung (z.B. mit Auto oder Bahn), das Heizen (z.B. mit Holz oder Öl) und das Kochen (z.B. mit Strom oder Gas).
💡 Strom
Strom ist eine besondere Form von Energie. Energie (die auf nachhaltige oder weniger nachhaltige Weise gewonnen werden kann) wird also in elektrische Energie umgewandelt und als Strom über Leitungen verteilt. Damit kannst du deinen Kühlschrank betreiben, deine Tischlampe einschalten oder dein Handy aufladen.
Auch im Naturschutz hat Schweden Pionierarbeit geleistet und 1909 als erstes europäisches Land neun Gebiete zu Nationalparks erklärt. Was die Schwed*innen ausserdem sehr naturverbunden macht, ist das Allemansrätt (Jedermannsrecht), das seine Wurzeln im Mittelalter hat. Es erlaubt (ausser in wenigen, speziell gekennzeichneten Gebieten), sich in der Natur frei zu bewegen, Beeren und Pilze zu sammeln, in Seen zu baden, ein Feuer zu machen oder sogar ein Zelt aufzuschlagen und unter freiem Himmel zu übernachten. Das gilt auch für Privatgrundstücke. Natürlich alles mit ein paar Regeln und unter der Bedingung, dass der Ort so verlassen wird, wie er aufgefunden wurde. Da Schweden zu 68% aus Wald (skog) besteht – etwa achtmal die gesamte Fläche der Schweiz – hat man auch viel Raum, um von diesem Recht Gebrauch zu machen.
Viel Natur und Umweltschutz findet man auch in Göteborg, das 2022 zum sechsten Mal in Folge vom Global Destination Sustainability Index (GDSI) als nachhaltigste Stadt der Welt ausgezeichnet wurde. Was ich an der Stadt am meisten liebe, sind die vielen Parks (parker). Egal, wo du bist, du brauchst nur zehn Minuten in eine beliebige Richtung zu gehen, und schon findest du dich im Grünen wieder. Und ich spreche nicht von kleinen Stadtparks, nein, in manchen kann man leichte Wanderungen machen und hat das Gefühl, mitten in der Natur zu sein, obwohl man nur wenige Gehminuten vom Trubel der Stadt entfernt ist. Dann gibt es noch die Archipelago: eine Inselgruppe mit über 20 Inseln. Ein großer Teil der Inseln ist Naturschutzgebiet (naturreservat) und etwa die Hälfte davon ist autofrei (bilfri). Generell ist die Stadt auf alternative Verkehrsmittel wie Strassenbahn (spårvagn) oder Fahrrad (cykel) ausgerichtet. So sind fast alle Strassen mit breiten Radwegen ausgestattet und die Autofahrer*innen achten aussergewöhnlich gut auf Velofahrende.
Auch die Kreislaufwirtschaft (cirkulär ekonomi) boomt in der zweitgrössten Stadt Schwedens. Es gibt nicht nur unzählige und zum Teil riesige (manchmal über vier Stockwerke!) Secondhandläden, sondern auch sogenannte Fritidsbanken – übersetzt «Freizeitsbank». In diesen Läden findet man verschiedenste Campingausrüstungen, Sportzubehör (unter anderem Ski oder Velos) und viele andere Freizeitartikel, die man sich kostenlos (!!!) für zwei Wochen ausleihen kann. Und ja, es funktioniert tiptop, die Leute bringen die Sachen wieder zurück und nein, es ist nichts kaputt oder dreckig. Ganz im Gegenteil, das meiste Zeugs ist in bester Verfassung. Nicht nur ein Traum für unseren Planeten, weil nicht immer neue Dinge gekauft werden, sondern auch für unseren Geldbeutel.
Aber genug von meinen Schwärmereien über Göteborg und zurück zu dir, liebe Schweiz. Offensichtlich hast du in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit noch einiges aufzuholen und zwar allgemein, nicht nur im Vergleich zu Schweden. Aber keine Angst, ich verlange natürlich nicht gleich die kostenlose Bereitstellung von Freizeitartikeln, aber mit guten Radwegen und mehr Grünflächen in der Stadt könntest du schon mal anfangen! Ausserdem ist die Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes am 18. Juni ein wichtiger Meilenstein in der Schweizer Klimapolitik.
Vänliga Hälsningar
Mia, från Göteborg
P.S.: Auch wenn es weh tut, das zu sagen, in der schwedischen Umweltpolitik könnte sich einiges ändern. Im Jahr 2021 konnte sich zum ersten Mal seit langer Zeit eine Mitte-Rechts-Koalition durchsetzen und es kam zu einem Regierungswechsel. Die Prioritäten der neuen Regierung liegen eindeutig nicht im Klimaschutz und es sind bereits einige Veränderungen zu erkennen. Wie sich dies auf die Erreichung der ambitionierten Klimaziele auswirken wird, ist noch unklar.