Aushalten

Über diese Kolumne

Willkommen. In dieser Kolumne werde ich euch mitnehmen durch meinen Aktivismus in verschiedenen Organisationen in der Klima-gerechtigkeits-Bewegung, durch meinen Alltag als junger Mensch, und allem, was sonst noch zum Leben dazu gehört. Wer ich bin? Schwierige Frage. Also fangen wir mal bei den Basics an. Ich heisse Cyrill Hermann. Ich bin diesen Herbst 19 Jahre alt geworden. Ich gehe in Zürich ins Gymnasium. Ich engagiere mich seit mehr als drei Jahren im Klimastreik. Ich wohne mit meiner Mutter und meinen Geschwistern in einer Wohnung in Zürich. Ich betreibe und unterrichte in meiner Freizeit Eiskunstlauf. Ich bin gerne mit meinen Homies in Zürich unterwegs, egal ob See, Theater oder chillige Bars. Wisst ihr jetzt, wer ich bin? Probably nicht. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr mich in Zukunft auf meinem Weg als junger Mensch, durch alles, was mich ausmacht, begleiten und mich etwas besser kennenlernen.

Ich weiss nicht, wo anfangen. Eigentlich wollte ich in dieser Folge über die neue fossile Infrastruktur schreiben, welche die Schweizer Regierung zusammen mit Privatunternehmen bauen möchte. Ich wollte über unsere Demonstration vor zwei Wochen vor dem Gasverbund Mittelland schreiben, der das LNG-Terminal in Muttenz bauen will. Ich wollte über Neokolonialismus und die damit verbundenen globalen Ungerechtigkeiten sprechen. Eigentlich wollte ich über das kleine helle Fenster in der grossen Glasscheibe sprechen. Doch als ich vor dem Hauptsitz des Gasverbunds Mittelland mit ganz vielen anderen Aktivist*innen stand, als wir den offenen Brief und das Ultimatum der Geschäftsleitung übergaben, als wir in Interviews und in der sozialen Medienwelt versuchten, die Öffentlichkeit wachzurütteln, spürte ich einfach nichts mehr. Es war zum Verzweifeln.

Montag, 03.04.2023 – Aushalten

Wie kann es sein, dass wir nach vier Jahren Klimastreik, nach so viel Aufmerksamkeit, nach so viel Arbeit und vermeintlichem Fortschritt, immer noch am Punkt sind, wo wir dafür kämpfen müssen, dass die Mächtigen in diesem Land nicht in die komplett entgegengesetzte Richtung rennen? In Richtung Klimakrise, in Richtung Tod und Leid, in Richtung Gletscherschmelze und kippende Ökosysteme. Wie kann es sein, dass wir gegen einen fossilen Backlash und gegen einen Erdöllobbyisten, der mitunter das Umweltdepartment anführt, kämpfen müssen. Wie kann es sein, dass wir immer noch dafür kämpfen müssen, dass es nicht noch schlimmer wird. Wann können wir Fortschritt, Zukunft, eine neue blühende Welt auf die Strassen tragen? Wie sehr ich mich auf den Tag freue, an dem wir uns für neue Themen einsetzen können und nicht konstant damit beschäftigt sind, die Vergangenheit abzuwehren, die uns wieder einzuholen versucht. Wieso kommen die Konservativen und Liberalen immer und immer wieder mit ihren AKWs und nicht mit erneuerbaren Energiequellen, jetzt da wir kein fossiles Erdgas mehr aus Russland bekommen. Wieso ist es unsere Aufgabe, immer ein Auge darauf zu haben, dass wir nicht wieder gleich zwei Schritte rückwärts machen, wenn wir einen nach vorne gemacht haben?

Böse Zungen mögen jetzt behaupten, «dann macht es doch nicht, niemand zwingt euch dazu». Doch es ist mein legitimer Anspruch, auch noch auf einem Planeten leben zu dürfen, der noch intakt ist. Und «Ja» es sollte eigentlich nicht die Verantwortung von 14-, 17-, 19-Jährigen sein, für dieses absolute Minimum einzustehen. Gefühlschaos. Gefühlschaos, das ich aushalten muss. Konstant und immer.

Aushalten, dass meine Zukunft und das Leben von Millionen Menschen im Globalen Süden täglich neu infragegestellt wird.

Aushalten, dass es in die falsche Richtung läuft.

Aushalten, dass jeder Tag ein Tag weniger ist und sich das Zeitfenster schliesst.

Aushalten, dass ich Angst um meine Zukunft habe.

Aushalten, dass ich meiner Verantwortung gegenüber dem Globalen Süden nicht gerecht werde.

Aushalten, dass ich meinen Erwartungen nicht gerecht werde.

Aushalten, dass, während wir noch den IPCC-Bericht verhandeln, der Bund gemeinsam mit seiner Nationalbank zwei der klimaschädlichsten Banken, der CS und der UBS, 259 Milliarden unseres Geldes hinterherwirft.

Aushalten, dass es fucking schmerzt und ermüdend ist, sich jeden Morgen aus dem Bett zu winden, um den ganzen Shit Tag für Tag aufs Neue auszuhalten.

Aushalten ist anstrengend und kräftezehrend. Es fühlt sich unfair an und doch steht mein Aushalten in keinem Vergleich zu dem von Menschen, die fliehen müssen, weil ihnen die Klimakrise schon heute alles nimmt. Wie lange müssen wir den Status quo noch erdulden? Denn irgendwann halten wir das Aushalten auch nicht mehr aus. Es gibt eine dünne rote Linie, die immer wieder beängstigend nahekommt. Meine Linie droht immer mal wieder überschritten zu werden. Ich spüre es, mein Körper wird schwer, die Kraft dagegen anzukämpfen und noch positive Seiten zu sehen, schwindet, wie auch der Glaube und der Wille, noch etwas verändern zu können. Das Aushalten zwingt einen, nur noch schwarz und weiss zu sehen.

Es endet wieder vor einer riesigen dicken Scheibe. Manchmal hat es noch ein kleines Fenster, durch welches es hell hereinscheint, einen Hoffnungsschimmer, an den man sich klammern kann, in welchem man Sinn sieht, dafür zu kämpfen. Und manchmal ist da auch einfach nichts, dann ist nur noch der Stein am Boden und man muss nur noch die Kraft haben ihn mit Wut gegen die Scheibe zu knallen (siehe Folge 2).

Im Alltag erlebe ich es aber immer wieder, dass man von mir erwartet, dass ich einerseits immer Zuversicht und Hoffnung habe und dass man bei mir andererseits jegliche Gedanken zur Klimakrise deponieren kann. Es kommen immer wieder Menschen, vor allem ältere, die mir ihre Gefühlslage zur Klimakrise schildern wollen oder mir erzählen, was sie bereits alles Gutes fürs Klima gemacht haben, mit der indirekten Aufforderung, dass ich ihnen die Last und ihr schlechtes Gewissen abnehme. Der Druck, gegen aussen immer die geforderte Hoffnung zu zeigen und gleichzeitig ein Klimakummerkasten zu sein, ist ermüdend. Gegen aussen immer wieder so tun zu müssen, dass wir das noch schaffen werden und dass wir mit Hoffnung in unsere Zukunft blicken, ist einfach nur ironisch und realitätsverzerrend, weil nein «es ist fucking aussichtslos, wenn es keine Veränderung in den nächsten zwei Jahren gibt» und nein «Im Moment sieht es absolut nicht danach aus».

Diesem Druck standzuhalten, dass man mir die Belastung nicht ansehen darf und es auch keinen Rahmen dafür gibt, wo dieser zum Gespräch wird, personalisiert und internalisiert ein riesige psychische Last, die eine ganze Generation engagierter Menschen mit sich selbst rumtragen muss.

Über genau diese Struggles habe ich mit der jungen Aktivistin Johanna Bleisch gesprochen – es war lustig.

Gespräch mit Johanna Bleisch
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